mercator matinéen 2016

Es wird Wagen geben, die von keinem Tier gezogen werden und mit unglaublicher Gewalt daherfahren.“ (Leonardo da Vinci, italienischer Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph, 1452 bis 1519).

Das Neue ist nicht aufzuhalten

Es gibt die These, dass die Verheerungen durch die Pest maßgeblich zur Erfindung des Buchdrucks beigetragen haben sollen. Was auf den ersten Blick unsinnig erscheint, wird nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen führt, dass mit dem massenhaften Sterben schreibkundiger Mönche das Vervielfältigen von Texten und Büchern eine sehr viel dringlichere Angelegenheit wurde. Eine Ikone des digitalen Zeitalters, Bill Gates, hat die Bedeutung der Erfindung von Johannes Gutenberg vor kurzem erst hervorgehoben: „Gutenberg veränderte wirklich die Art, wie wir Wissen teilen und half der Welt, Entdeckungen zu machen, deren Ausmaß ohne das Buch nie möglich gewesen wären.“ Auch die Tatsache, dass Google, der größte Konzern, den die digitale Revolution hervorgebracht hat, Gerhard Mercator 2015 zum 503. Geburtstag ein Doodle auf seiner milliardenfach besuchten Startseite widmete, spricht dafür, dass spätestens mit dem 15/16. Jahrhundert eine sprunghafte Dynamik von Wissenschaft und Technik in Gang kam, nachdem religiöse Denkverbote wegfielen. Welche Großtaten vollbrachten die Universalgenies vor einem halben Jahr tausend! Allein Johannes Keplers und auch Gerhard Mercators gigantische Rechenleistungen machen in einer Zeit, in der Computer inzwischen Billiarden Kalkulationen pro Sekunde bewältigen, noch jeden Mathematiker ehrfürchtig. Unaufhaltsam brachen sich in der Folgezeit Neuerungen Bahn. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts stießen Wissenschaft und Kunst dann mit weitreichenden Folgen in den Bereich unsichtbarer Phänomene, Elemente und Kräfte vor. Vermehrt spielen Frauen dabei eine wichtige Rolle, was in der Kunst- wie Wissenschaftsgeschichte nach wie vor zu wenig gewürdigt wird. Gleichzeitig wurde schon früh von Philosophen, Natur- und Sozialwissenschaftlern auf die Gefahr der Verselbständigung der Technik hingewiesen. Technik, also die „Anstrengung, Anstrengungen zu ersparen“, hatte mit Faustkeil und Rad begonnen, inzwischen setzt sie uns in die Lage, über unsere biologischen Begrenzungen hinauszugehen. Mit Hilfe der Technik greifen wir derart tief in die Erdprozesse ein, dass man überlegt, eine neue geochronologische Epoche, das Anthropozän, einzuführen und der „Chefvisionär“ des Chip-Herstellers Intel prophezeit, dass in naher Zukunft intuitive und gefühlsfähige Computer in den Körper implantiert werden. Wohin diese Entwicklung uns führen soll, lässt sich mit Hilfe der Technik nicht beantworten. Der Mensch hat sich damit selbst vor eine neue Herausforderung gestellt.

Wilfried Schaus-Sahm (Konzept und Programm) (Mercator-Gesellschaft Duisburg)

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